Inge Lehmann: Die große Dame der Seismologie

Inge Lehmann: Die große Dame der Seismologie


Die große alte Dame der Seismologie – wie Inge Lehmann oft bezeichnet wird – wurde heute vor 127 Jahren, am 13. Mai 1888, in Kopenhagen (Dänemark) geboren. Im Jahre 1907 begann sie ihr Studium der Mathematik in Kopenhagen und setzte es später in Cambridge fort. Ihren Abschluss erhielt sie jedoch erst 1920, weil dort zuvor keine Titel an Frauen verliehen wurden.

Inge Lehmann: Google Doodle
Inge Lehmann: Google Doodle

Interesse an Seismologie

Inge Lehmann
Inge Lehmann

Sie wurde, nach einigen Jahren Tätigkeit im Versicherungswesen, 1925 Assistentin des Geodäten Niels Erik Nørlund, der sie mit dem Aufbau seismologischer Observatorien in Dänemark und Grönland beauftragte.

In dieser Zeit begann ihr Interesse an Seismologie. 1928 machte [img]Inge Lehmann[/img] ihr Examen in Geodäsie und trat eine Stellung als staatliche Geodätin und Leiterin der seismologischen Abteilung am von Nørlund geleiteten Geodätischen Institut an.

 

P‘ – Der Fachartikel P‘

In einem Artikel von 1936 mit dem schlichten Titel P‘ befasste sich mit der Laufzeit von seismischen Druckwellen, den P-Wellen, die nach einem großen Erdbeben durch den gesamten Erdball laufen und dabei auch den Erdkern durchdringen.

Innerhalb des Erdkerns bewegen sich P-Wellen langsamer als im Erdmantel. Sie erreichen die Rückseite der Erde also später, als anzunehmen wäre, würde man nur die Geschwindigkeit im Erdmantel zugrunde legen. Gleichzeitig werden die Wellen beim Eintritt in das andere Medium des Erdkerns abgelenkt und wie durch eine große, einfach Linse gebündelt. Daher gibt es bei einem Erdbeben eine Schattenzone, in der keine Wellen zu registrieren sind.

Inge Lehmann bemerkte nun, dass dennoch P-Wellen in der Schattenzone auftraten, wenngleich sie gerade in den beiden Raumrichtungen, die von den damaligen Messgeräten am besten erfasst wurden, äußerst schwach waren.

Da sich diese Erscheinung nach Lehmanns Meinung nicht durch Brechung oder andere störende Phänomene an Grenzflächen innerhalb des Erdmantels erklären ließen, postulierte sie die Existenz eines Inneren Erdkerns, der aufgrund höherer Wellengeschwindigkeiten im Vergleich zum Äußeren Erdkern als Streulinse für Erdbebenwellen wirkt. Sie zeigte diese Wirkung anschaulich an einem vereinfachten Erdmodell, das wesentlich zur Akzeptanz ihrer Idee beitrug.

Diese Interpretation wurde in den zwei bis drei folgenden Jahren auch von anderen führenden Seismologen übernommen. So berechneten zwei Jahre später die Seismologen Gutenberg und Richter den Radius des Inneren Erdkern auf 1200 km und die P-Wellengeschwindigkeit auf 11,2 km/sec. Dass der Innere Erdkern im Gegensatz zum flüssigen Äußeren Erdkern fest sei, wurde unabhängig voneinander 1940 von Birch und 1946 von Bullen vorgeschlagen.

Weshalb hieß ihre Arbeit P‘

P‘ ist das Symbol für die sogenannten Kompressionswellen. Sie gleichen Stoßwellen und durchlaufen sowohl flüssige als auch feste Medien, während sich die S- oder Schwerwellen in Flüssigkeiten nicht fortbewegen können. Deshalb enden diese im damals schon bekannten äußeren, flüssigen Erdkern.

Untersuchung der Erdkruste

Nach 1953 zog [img]Inge Lehmann[/img] für mehrere Jahre in die USA und arbeitete mit Maurice Ewing und Frank Press zusammen an der Untersuchung der Erdkruste und des oberen Erdmantels. Dabei entdeckte sie eine weitere seismische Diskontinuität, die nach ihrer Entdeckerin als „Lehmann-Diskontinuität“ bekannt ist.

Lehmann-Diskontinuität

Die Lehmann-Diskontinuität (oft auch als „L-Diskontinuität“ genannt) bezeichnet eine Region innerhalb des oberen Erdmantels, in der die seismischen Geschwindigkeiten des Gesteins bzw. deren Gradienten sich schnell ändern.

Die Lehmann-Diskontinuität wurde in verschiedenen Tiefen zwischen 190 und 250 km mit einem globalen Mittel um 210 km beobachtet. Über ihre Natur, also die genaue Ursache des Geschwindigkeitsanstiegs, herrschen unterschiedliche Meinungen vor: Eine Meinung geht von einer mechanischen Grenzschicht aus, die mit einer Veränderung der seismischen Anisotropie einhergeht, während ein anderer Standpunkt die L-Diskontinuität als untere Grenze der Asthenosphäre betrachtet.

In einiger Literatur wird der Begriff der „Lehmann-Diskontinuität“ auch für die Grenze zwischen dem inneren und dem äußeren Erdkern verwendet, da der innere Kern ebenfalls von Inge Lehmann entdeckt wurde. Obwohl diese, die weitaus wichtigere Entdeckung Lehmanns war, hat sich der Begriff allgemein doch eher für die Diskontinuität des oberen Erdmantels durchgesetzt.

Inge Lehmann

Inge Lehmann war bis zu ihrer Pensionierung im Jahr 1953 leitende Seismologin am Geodætisk Institut in Kopenhagen.

Inge Lehmann war die erste – und bislang einzige – Frau, die mit der William Bowie Medal ausgezeichnet wurde.

1987 schrieb sie 99-jährig ihren letzten Artikel mit dem Titel „Seismology in the Days of Old“.

Inge Lehmann Medaille

Die nach ihr benannte „Inge Lehmann Medaille“ ist eine geowissenschaftliche Auszeichnung, die etwa alle zwei Jahre von der American Geophysical Union (AGU) vergeben wird. Ihre Verleihung geschieht in Anerkennung besonderer Leistungen für das Verständnis der Strukturen, Zusammensetzung und der Dynamik des Erdmantels und des Erdkerns. Die Medaille wurde 1997 erstmals verliehen.

Inge Lehmann verstarb am 21. Februar 1993.